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Ärztliche Psychotherapiepraxis Hamburg - Viola Rescher

Blog

30. August 2018

Unehrlich oder besser doch wahrhaftig sein?

Die Inspiration, über Wahrhaftigkeit zu schreiben, gab mir mein letzter Besuch bei einem Poetry Slam. Ein Teilnehmer rief zur Unehrlichkeit auf. Man komme damit auf jeden Fall leichter durchs Leben. Viele Leute schienen dem sichtlich amüsiert zuzustimmen. Ist Unehrlichkeit wirklich leichter? Theodor Heuss bekräftigt meine Erfahrungen da schon eher:

„Wer immer die Wahrheit sagt, kann sich ein schlechtes Gedächtnis leisten.“

Wahrheit ist einfach und klar. Obwohl sie schmerzhaft sein kann, von uns Entscheidungen abverlangt, die auch mit Verlusten einhergehen können, verleiht sie uns Energie.

In Unehrlichkeit kann man sich verstricken. Sie fördert Entscheidungsvermeidung und hemmt damit das eigene persönliche Wachstum und das sich Entfalten des Bewusstseins der eigenen inneren Freiheit. Sie kostet Energie und ist am Ende dauerhaft schmerzhaft.

 

Wohin Unehrlichkeit führt

Nicht immer ist das, was schnell Erleichterung schafft, auch gut für uns. Es lindert zwar die Symptome, greift jedoch nicht an die Wurzeln, schadet langfristig unserer Gesundheit, wie Nikotin, Alkohol, Arbeitssucht und eben die Unehrlichkeit gegenüber der eigenen Person und anderen. Warum tut ein Mensch das? Dies liegt vor allem in seiner Lern-und sozialen Entwicklung begründet. Wächst ein Mensch bindungsunsicher, wenig einfühlsam auf, entwickelt er Überlebensstrategien, die ihn kurzfristig Erleichterung bringen. So erlebt er z.B. in der Interaktion mit anderen weniger Stress, mehr Harmonie, Anerkennung, Lob, Dazugehörigkeit. Langfristig kommt es jedoch zu zunehmenden zwischenmenschlichen Konflikten und zum Konflikt im eigenen Selbst zwischen Freiheit und Abhängigkeit. Dies kann zu einem tiefen Leere – und/oder Einsamkeitsgefühl führen.

Eine Patientin von mir beschrieb eine Folge des eigenen Selbstbetrugs sehr treffend: „Obwohl ich mit anderen zusammen bin, fühle ich mich zunehmend nicht dazugehörig, als ob eine Glaswand zwischen uns ist.“

 

Ein Beispiel aus meiner Praxis:

Was kann passieren, wenn man den Mut hat, seine Wahrheit zu leben?

Da ist ein Patient, verheiratet, 5 schulpflichtige Kinder mit massivem Burnout, der mit Mitte 50  seine leitende Position als Führungskraft abgibt, als Sachbearbeiter weiterarbeitet und sich seinen Traum, nebenbei als Skilehrer zu arbeiten, erfüllt. In diesem Veränderungsprozess gewinnt er mehr Nähe zu sich selbst. Dies gibt ihm die Kraft, sich selbst gegenüber seinen Arbeitskollegen und Familienmitgliedern ehrlicher zu zeigen, sich mutig emotional zu öffnen, zu seinen Stärken und Schwächen zu stehen, Grenzen zu setzen und für sich selbst achtsam zu sorgen. Wider Erwarten zu seinen früheren Erfahrungen erlebte er Verständnis und Unterstützung seitens seines Unternehmens und sogar seitens seines sehr leistungsorientierten, strengen Vaters. Der Mut meines Patienten, ehrlich zu sich selbst zu sein und seine Wahrheit zu leben, wurde mit einem erfüllteren und glücklicheren Leben in Familie und Beruf belohnt. Sein Leben bekam ein Profil der Einfachheit, Klarheit, Leichtigkeit, Freude und Energie. Zwischenmenschliche Beziehungen zeichneten sich durch mehr Nähe und Verbundenheit aus.

 

Wie finde ich meine Wahrheit?

  1. Rausgehen aus der Überanpassung

Was ist das Motiv der Überanpassung? In der Regel ist es oft der Hunger nach Liebe, im Sinne von Dazugehörigkeit, Sicherheit, Anerkennung, Zuneigung, Aufmerksamkeit.In den ersten Lebensjahren ist dies ein essentielles seelisches Grundbedürfnis. Wenn es in unserem nahen Umfeld keine Beachtung findet, stellen wir, um zu überleben, unseren Wahrheitsmodus auf den  Anpassungsmodus um. Wir verstecken Anteile von uns und werden damit konturloser und unsichtbarer.

  1. Eigene Ecken und Kanten kennenlernen und dazu stehen

Das  bedeutet, sich wie ein Kind auf die Suche begeben und damit das eigene Selbstbewusstsein „Wer bin ich?“ „Wie ticke ich?“ weiterentwickeln. Was sind meine Stärken und Schwächen? Diese gleichwertig bei sich liebevoll annehmen und auch im Außen dazu stehen. Wie Friedrich Hebbel so treffend sagt:

„Jedenfalls ist es besser ein Eckiges Etwas zu sein, als ein rundes Nichts.“

 

Wahrhaftig sein ist ein Lernprozess

Mit dem Wahrhaftig sein verhält es sich wie mit einer Fremdsprache, die man neu erlernt. Man muss noch oft überlegen, braucht länger bis man reagiert und antwortet, hat vielleicht Angst, wie reagieren die anderen? Lehnen die mich ab, wenn ich mich nicht so ausdrücke, wie sie es erwarten? Es bedeutet Unsicherheiten aushalten und überwinden. Die Sprache fühlt sich zuerst noch nicht als die eigene an. Aber Übung macht den Meister und die neue Sprache verankert sich immer tiefer in unserem Innern. Sie geht uns sozusagen ins Blut über.

 

Wahrhaftig mit anderen kommunizieren

Eine tolle Methode, seine Wahrhaftigkeit in der Kommunikation umzusetzen, bietet die „Einfühlsame/Gewaltfreie Kommunikation“ nach Marshall B. Rosenberg.

Serena Rust hat in Anlehnung an den Begründer ein sehr praxisnahes kleines blaues Büchlein „Wenn die Giraffe mit dem Wolf tanzt.“ herausgebracht. Es fördert die ehrliche, einfühlsame Kommunikation mit sich selbst und anderen. Um den Giraffentanz ehrlich miteinander tanzen zu können, benötigt man ein eine achtsame Verbindung zu sich selbst.

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  • Wie beobachte ich die Situation wertfrei?
  • Was fühle ich?
  • Welches Bedürfnis leite ich davon ab?
  • Wie formuliere ich klar meine Bitte?

Es erfordert Geduld in der Umsetzung und bietet die Freiheit, seinen eigenen Stil dabei zu finden. Nicht immer reagiert das Gegenüber einfühlsam oder verständnisvoll zurück. Es geht in erster Linie darum, sich selbst einfühlsam wahrzunehmen und dies auch so auszudrücken – eine bessere Alternative zum „Herunterschlucken“ von Gedanken und Gefühlen. Dadurch kann Gefühlsenergie fließen und wir schaffen in uns eine emotionale Balance – ein gutes Fundament für unsere psychische und körperliche Gesundheit.